Carillon Geisa: Stadtpfarrkirche, Glockenspiel, Orgel, Kirchenmusik, Orgelmusik

Von allen Zufahrtsstraßen aus fällt das spätgotische Bauwerk der katholischen Pfarrkirche St. Philippus und Jakobus ins Auge.

 

Besonders der an der Westseite stehende fünfgeschossige Turm beherrscht nicht nur das Erscheinungsbild der Kirche, sondern prägt auch das gesamte Stadtbild. Über den spätgotischen Fenstern im letzten Geschoss bietet der Turmkranz mit seinem steinernen Maßwerk einen wunderbaren Blick über die Gegend. An seinen vier Ecken ragen die spätgotischen steinernen Wasserspeier hervor. In dem Turmaufsatz, der aus einer zweigeschossigen achteckigen Schweifkuppel besteht, wohnte bis ins 19. Jahrhundert hinein der Türmer, der über die ganze Stadt zu wachen hatte. In der Turmluke der Schweifkuppel hängt das Sterbeglöckchen aus dem Jahr 1472, das aufgrund seines Alters schon in der Vorgängerkirche seine treuen Dienste getan haben könnte.
Im Turmaufsatz unter der Kuppel befinden sich heute die 49 Glocken des Carillons und das mit jeder Glocke über einen Draht verbundene Stokkenklavier. Weiter nach unten schreitend, kommt man zu den 4 Läuteglocken, die seit 1964 weit in das Ulstertal hineinklingen. Ein Stockwerk tiefer sieht man das alte Uhrwerk, das leider nicht mehr in Gebrauch ist. Vom Geschoss darunter gelangt man in den Langhausboden. Er bietet jährlich im Sommer ca. 400 bis 600 Mausohrfledermäusen Wochenstube und Quartier. Im Turmgeschoss darunter sind historische Gegenstände aus Kirche und Turm ausgestellt, so z.B. Klöppel und Joche früherer Glocken und der alte Orgelspieltisch samt Orgelbank. Von dieser Etage gelangt man zum historischen Blasebalg der Knauf-Orgel, der auch heute noch „getreten“ werden kann. Von dort aus abwärts lässt sich die Orgelempore erreichen. Man geht die steinerne Wendeltreppe hinunter und betritt die erste Empore des Kirchenschiffes bis man schließlich weiter unten aus dem kleinen Turmaufgang nach draußen gelangt.

Im Jahr 1356 wurde bereits eine Pfarrkirche in Geisa erwähnt, die aber eher einer kleinen Kapelle entsprochen haben musste. Diese befand sich an der Stelle der heutigen Sakristei. Unter Pfarrer Conrad Reuthen (auch Reythen) ist die heutige Pfarrkirche erbaut worden. Die Bauzeit lag zwischen 1489 und 1504. Während dieser fünfzehn Jahre durften die Geisaer in dem Steinbruch des Hans von Völkershausen „steyn brechen zu der Pfarrkirchen und zu der Stadt bawen“. In einem Schreiben vom 1. Januar 1504, das erhalten blieb, danken der Stadtpfarrer, der Bürgermeister, der Rat und die Heiligenmeister dem Edlen von Völkershausen für dieses große Entgegenkommen. Der Rohbau scheint 1497 vollendet zu sein; diese Jahreszahl steht auf dem südlichen Strebepfeiler der Kirche. Die Pfarrkirche zu Geisa ist das einzige gotische Gotteshaus im Dekanat, das aus dem Mittelalter erhalten geblieben ist. 500 Jahre steht es bereits, immer wieder unterlang es den Kunstrichtungen der jeweiligen Zeit. Die letzte umfassende Sanierung erfuhr das Kircheninnere in den Jahren 1987 - 1999.

 

Betritt man das Gotteshaus durch das Westportal, öffnet sich der Blick über den Mittelgang bis zum hohen Chor. Gotische Schlichtheit und Erhabenheit laden ein. Spitzbogige Hochfenster mit verschiedenem Maßwerk und rötlichem Gewände zieren das helle Gemäuer, lassen Licht und Sonne herein. Vorwärtsschreitend im zweischiffigen Kirchenraum wird an der Ecke zum linken Seitenschiff eine gewachste Barockkanzel augenfällig, geschaffen 1700 - 1703. Unterhalb der Seitenempore entdeckt man den Taufstein von 1527 sowie den Opferstock von 1517. An der rechten Kirchenwand sind die lebensgroßen Figuren der Hl. Familie und die Kirchenpatrone Philippus und Jakobus angebracht. Im Weitergehen fällt der Blick auf den rötlich umrandeten Triumphbogen. Ein bemerkenswerter Corpus Christi aus dem 15. Jh. mit Kreuzbalken schwebt von der Höhe herab. Das Antlitz ist beeindruckend. Sein linkes Auge schaut den Betrachter gleichsam unverwandt an. Im Mauerfeld linksseitig ist das zartfarbige Fresko des Hl. Bonifatius mit dem Wappen des Hochstiftes Fulda zu sehen. Unterhalb entdeckt man in einem Mauerdurchbruch den Schmerzensmann „Christus an der Geißelsäule“. Ebenso rechts gegenüber den gegeißelten „Christus in der Rast“, 1650 - 1700 von Künstlerhand geschaffen. Man steht vor der Stufe zum Chorraum und schaut auf den Zelebrationsaltar von 1997 aus Muschelkalk. Hier wird das Hl. Messopfer gefeiert und das Wort Gottes vom Ambo verkündet. Neugotisches Chorgestühl und im Stil angepasste Sedilien werden sichtbar. Doch hinter und über allem dominiert sehr augenfällig und anschaulich der Flügelaltar von 1491 unter dem Mittelfenster. Die Statue der Gottesmutter und Himmelskönigin, umgeben von goldenem Grund, fesselt den Blick. Szenen aus ihrem Leben sind in sprechenden Bildern, in Malerei und Relief dargestellt. Hoch darüber erhebt sich, dem Himmelszelt entlehnt das gotische Strebenwerk der Gewölbekonstruktion rötlich betont. Die Augen schweifen gen Westen in das Kirchenschiff. Auf der zweiten Empore prangt der Orgelprospekt.

 

Eines der größten Werke und zugleich das wohl einzige dreimanualige Instrument der thüringischen Orgelbauerfamilie Knauf ist die Orgel der Stadtpfarrkirche St. Philippus und Jakobus in Geisa. Friedrich Knauf erbaute sie im Jahre 1848. In der näheren und weiteren Umgebung von Geisa hat sich eine bedeutende Anzahl von Instrumenten aus den ganz außergewöhnlich produktiven Orgelbauerwerkstätten der beiden Knaufschen Familienzweige in Tabarz, später Gotha, sowie in Bleicherode erhalten. Die Orgeln der evangelischen Kirche und auch der Gangolfikapelle in Geisa stammen allem Anschein nach ebenfalls daher. Die Verbindung aus dem Streben nach einem aktuellen, zeitgemäßen Orgelkonzept einerseits und der Weiterführung der althergebrachten Herstellungsweise andererseits macht wohl zu einem guten Teil den Reiz dieser Instrumente aus. In Deutschland stand zu dieser Zeit die Industrielle Revolution unmittelbar bevor, große gesellschaftliche und kulturelle Veränderungen kündigten sich an. Die Uraufführungen der ersten Wagner-Opern markierten den Beginn einer neuen musikalischen Epoche. Die große Knauf-Orgel der Stadtpfarrkirche Geisa spiegelt diesen Wandel auf ihre Weise wider.

Die Restaurierung in den Jahren 1996 - 1999 durch die Werkstatt Gerald Woehl, Marburg, hat den Charakter und die klangliche Qualität dieses zuvor schon längere Zeit nicht mehr bespielbaren, sehr stark vom Holzwurm befallenen Instruments wieder sichtbar und vor allem hörbar gemacht. Das erfreulich vollständige und nur wenig veränderte Orgelpfeifenwerk hatte schon vor Beginn der Arbeiten einige Erwartungen geweckt, zumal ältere Geisaer Kirchgänger den früheren Klang ihrer Orgel stets als sehr schön schilderten. Schnell wurde dann klar, dass es hier um die Erhaltung eines wichtigen Klangdenkmals gehen würde. Ein sehr Behutsames und gewissenhaftes Umgehen mit dem historischen Pfeifenwerk war die erste Konsequenz daraus. Dies galt es zu beachten bei der Pfeifenrestauration, besonders aber bei den klanglichen Arbeiten im Kirchenraum. Für das weitere Vorgehen konnte das heute eigentlich selbstverständliche Restaurierungsschema: Herausfinden des Originalzustandes, dann möglichst unanfechtbares Rekonstruieren desselben, diesem Instrument in seiner Bedeutung nicht hinreichend gerecht werden. Der Respekt vor dessen klanglicher Aussage erforderte weitergehende instrumentenbauliche Entscheidungen. So galt es etwa, die Veränderungen im Pfeifenwerk (ausgeführt vermutlich durch Otto Markert aus Ostheim um 1905) als zur Geschichte dieser Orgel gehörend und wegen der guten Qualität der damals neu eingesetzten Metallpfeifen musikalisch sinnvoll zu deuten und in dieser Weise beizubehalten. Das ergab vor allem eine gegenüber dem ohnehin nicht sicher feststellbaren Ursprungszustand etwas veränderte Besetzung des obersten Manuals, welches jetzt aber umso feiner und delikater klingt! Schwerwiegender musste in die Spielmechanik eingegriffen werden, da Friedrich Knauf sich in der Erweiterung seines üblichen technischen Konzeptes zur Dreimanualigkeit hier etwas nah an der Grenze der Funktionstüchtigkeit vorgewagt hat. Vor allem war ein bestimmter zu eng angelegter Teil der Originalmechanik neu zu konstruieren. Beim Nachbau der wegen starker Verwurmung nicht zu erhaltenden Klaviaturen konnten die Hebelverhältnisse etwas günstiger gestaltet werden. Die Spielanlage ist insgesamt wieder so einladend, wie es dem reichen klanglichen Angebot dieses Instrumentes entspricht.
In der so schön wiederhergestellten Stadtpfarrkirche St. Philippus und Jakobus kann die Orgel von Friedrich Knauf somit wieder in vollem Umfang musikalisch mitwirken in Gottesdienst und Konzert.